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Suchtprävention einmal ganz anders

Lernen aus den Fehlern anderer

Die Schülerinnen und Schüler erklären mithilfe von Modellen die Entstehung von Suchtverhalten, beschreiben Folgen für Betroffene und sind dadurch für die Gefahren einer Sucht sensibilisiert.

So klingt Suchtprävention im Lehrplan Biologie des Gymnasiums. Wir Lehrkräfte, besonders die der Biologie, bemühen uns, die Ziele gut umzusetzen. Durch Anschauungsmaterial, Diskussionen, Referate, Filme, Recherchen u.v.m. bemühen wir uns, in allen Jahrgangsstufen diesem besondere Bildungs- und Erziehungsziel gerecht zu werden.

Eine (mehr oder weniger alte) Biologie-Lehrkraft steht dabei einer Klasse gegenüber, in der sich ein Sammelsurium an Individuen befindet. Besonders in Bezug auf ihre Gedanken und auf ihr Vorwissen in Bezug auf einen möglichen Drogenkonsum unterscheiden sich die Schülerinnen und Schüler erheblich. Von Neugier, Unwissenheit, ersten Erfahrungen, dem Wunsch dazuzugehören, Ängsten und Ablehnung sind alle Gefühle dabei. Ob wir es schaffen, sie in Zukunft von (übermäßigem) Drogenkonsum abzuhalten, bleibt ungewiss.

Doch nun schon das dritte Jahr hatten wir - statt nur an Modellen zu lernen wie im Lehrplan gefordert - Besuch aus der Fachklinik Alpenland in Bad Aibling. Drei Patienten, die dort freiwillig für sechs Monate relativ engmaschig betreut leben und sich verschiedenen Therapien unterziehen, waren bereit, aus ihrem ganz besonderen Leben zu berichten. Sie alle sahen sympathisch und gesund aus, waren zwischen 27 und 40 und wären nicht aufgefallen, wenn sie sich als neue Kollegen vorgestellt hätten. Doch ihr Werdegang unterschied sich erheblich von dem der meisten Menschen. Sehr offen und frei erzählten die drei den anwesenden 10.-Klässlern ihre Lebensgeschichte und beantworteten die vielen Fragen der hoch interessierten Jugendlichen.

Alle hatten in früher Jugend mit Alkohol und „Kiffen“ begonnen und sich teils aus Neugier, teils aus dem Wunsch heraus, sich einfach besser zu fühlen, auch verschiedenen anderen Drogen verschrieben, die ein hohes Suchtpotential besitzen: Von Codein, Kokain, Heroin, Tilidin, Crystal Meth und vielen anderen war die Rede. Einer der drei hatte, um sich die teuren Drogen leisten zu können, mit Kokain gehandelt, war ins Gefängnis gekommen und durch den Kontakt mit anderen Insassen nur noch tiefer in die Kriminalität gerutscht, sodass er insgesamt neun Jahre seines Lebens hinter Gittern saß. Es sei die schlimmste Zeit seines Lebens gewesen.

Doch auch die physischen und psychischen Auswirkungen der Drogen wurden so schlimm, dass die jungen Männer einen immer stärker werdenden Wunsch hatten, von den Drogen und den Folgen wegzukommen. Sie mussten dazu enorme physischen Entzugserscheinungen ertragen. Von Schweißausbrüchen, Schüttelfrost, Durchfall, Krämpfen, erheblichen Schmerzen und Übelkeit war die Rede. Noch schlimmer jedoch war das „Chaos“ im Kopf: Angstzustände, Panikattacken, Depressionen bis hin zu Selbstmordgedanken quälten die Suchtkranken. „Ohne Medikamente, die diese Symptome lindern, hätte ich es nicht geschafft.“

Doch dann gibt es noch die psychische Abhängigkeit. Eine Schülerin möchte wissen, wann der Wunsch, zur Droge zu greifen, aufhört. Die Antwort stand lange im Raum: „Gar nicht. Ich kämpfe jeden Tag nicht Kokain zu nehmen und fürchte, dieser Kampf wird mich mein Leben lang begleiten.“

„Sind Sie jetzt trotzdem irgendwie froh, dass Ihr Leben so gelaufen ist und Sie jetzt da stehen, wo Sie sind?“ - „Nein. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich das Scheißzeug nie probieren. Ich würde nicht noch einmal anfangen zu kiffen. Da fing alles an. Dann will man mehr, anderes ausprobieren, die Wirkung erhöhen und die Hemmschwelle, Drogen zu nehmen, ist überschritten. Jeder von uns hier dachte, nicht süchtig zu werden, das Zeug nur mal ausprobieren zu wollen. Das schaffen die allerwenigsten, aber jeder, der anfängt, denkt, er kann es.“

Die Schülerinnen und Schüler wollten wissen, warum sie sich freiwillig für ein halbes Jahr in die Klinik begeben. „Ich habe nur noch gelogen, alles durcheinander genommen, viele Nächte nicht geschlafen, wog nur noch 53 kg. Nach einem – offensichtlich missglücktem – Selbstmordversuch wusste ich, ich will ein „normales Leben führen.“ war die Antwort des einen, der andere konnte seiner 18-jährigen Tochter nicht mehr ohne Schuldbewusstsein in die Augen sehen.

Doch nach dem halben Jahr ist nicht alles automatisch wieder in Ordnung. Alle drei wissen, dass sie an einer neuen Arbeitsstelle anfangen wollen, einen neuen Freundeskreis suchen müssen und werden deshalb in neue Städte ziehen. „Anders funktioniert das nicht, sonst ist man gleich wieder drin. Das hatte ich schon“

Die Schülerinnen und Schüler zeigten sich sehr beeindruckt, gaben langen Applaus und haben hoffentlich etwas für ihr Leben mitgenommen.

K. Stahl