Macht, Moral und Manipulation – „Reineke Fuchs“ als Spiegel unserer Zeit

Exkursion der Theater AG & „Theater /Film“-Kurs ins Münchner Residenztheater

Wie kann eine so alte Fabel wie Goethes „Reineke Fuchs“ heute noch so aktuell sein? Diese Frage stellten wir, die Theater-AG, uns, als wir im Oktober eine spektakuläre Neuinterpretation des uralten Epos im Münchner Residenztheater erlebten.

Das Theaterstück nach Johann Wolfgang von Goethe erzählt von Reineke Fuchs, der dem Rest des Tierreichs Unrecht angetan hat und daher zu Beginn verurteilt werden soll. Jedoch schafft er es, die Tiere – sei es den Bären, die Katze, den Hasen und sogar den Löwenkönig selbst – durch gezielte Täuschungen und manipulative Tricks hinters Licht zu führen und dadurch im Laufe des Stückes immer mehr Macht an sich zu reißen.

Die Neuinterpretation des Regisseurs Schorsch Kamerun bedient sich einer Vielzahl moderner theatralischer Mittel, um die Aktualität des Stückes zu verdeutlichen. So stach insbesondere der Einsatz von Live-Kameras und Projektoren heraus, die den Fokus des Stückes über die Hauptbühne hinaus erweiterten: Zuweilen wurde der Zuschauerblick durch Licht und Kameraführung zu bunten Glaskabinen hinter der Hauptbühne gelenkt, sodass ins Off fliehende Tiere nicht zwingend direkt von der Bildfläche verschwanden, sondern mitunter von der Kamera weiter „verfolgt“ wurden.

Häufig wurden die in der Szene auftretenden Charaktere auch als Miniaturfiguren auf eine Leinwand projiziert, oder der hinterlistige Fuchs Reineke erschien dort plötzlich gigantisch groß in schwarz-weiß, obwohl er eigentlich abseits der Bühne von seinem Turm herabsah.

Durch das Spiel mit diesen verschiedenen Ebenen wurde die raffinierte Überlegenheit Reinekes einmal mehr deutlich: Während die Tiergemeinschaft Reineke immer wieder endgültig zur Rechenschaft ziehen möchte, schafft dieser es, Zwietracht unter ihnen zu sähen und durch strategische Versprechungen und dreiste Verdrehungen wieder und wieder seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Dabei nutzt er allen voran die Schwächen, Naivität und Eitelkeiten der einzelnen Tiere für seine Zwecke. Auch der Löwe als autoritärer Herrscher ist unfähig, die List und Lügen des Fuchses zu durchschauen und wird von diesem im Laufe der Handlung in seiner Position als Herrscher und Richter zunehmend untergraben und schließlich demontiert.

Kameras fingen das Geschehen zudem aus verschiedenen Winkeln wie der Vogelperspektive ein, die den schwarz-weiß gemusterten Boden wie eine dreidimensionale Fläche wirken ließ. Das Spiel mit Licht und Schatten auf der Leinwand verlieh dem Geschehen auf der Bühne, das von sehr farbprächtigen Kostümen geprägt war, viel Kontrast: So waren die Kostüme sehr aufwendig gestaltet, von steif abstehenden Haaren des Fuchses sowie dessen treuen Begleiters „Firefox“ (- ein sehr kreativer Name, wie viele fanden -) als Ohren bis hin zu dem Bären in Lederhose und mit langen Krallen, oder einem Löwen mit prächtig, kreisrund abstehender Mähne und einem prächtig goldenen Glitzeranzug.

Die häufig recht schrille und aufdringliche Musikauswahl – jede Figur sang ihren eigenen Song - verstärkte die Bedrohlichkeit der Situation, so beispielsweise während der brutalen Konfrontation zwischen Reineke und dem Kater Hinze. Die Inszenierung wurde zurecht auch als „schwindelerregendes Theatermusical“ betitelt, denn die oftmals hitzigen Dialoge wurden immer wieder von Solo-Musikeinlagen der verschiedenen Tiere begleitet. Zudem wurde nicht nur durch die Musik ein Bezug zum Publikum hergestellt, sondern einmal auch direkt durch das Durchbrechen der sogenannten „Vierten Wand“ durch den Wolf Isegrim, in dem dieser dem Publikum seine eigene Rolle differenzierter darstellte.

Insgesamt haben wir aus der Inszenierung auch viel für unser eigenes Stück, „Animal Farm“, mitnehmen können, so zum Beispiel die große Bedeutung von körperlicher Präsenz auf der Bühne, die direkte Ansprache des Publikums, das Einbauen von chorischen Elementen sowie die Herausstellung spezifischer Merkmale der jeweiligen Tiere durch die Kostümauswahl.

Die sehr gesellschaftskritische Fabel §Reineke Fuchs“ wirft Fragen nach Recht und Gerechtigkeit auf, die aktueller denn je sind: Wie schaffen wir es, gerade in unserer schnelllebigen, digitalisierten Welt, Wahrheit von Lüge („Alternative Fakten“) zu unterscheiden? Und wie gelingt es uns, den eigenen Überzeugungen treu zu bleiben, und nicht – wie die Tiere der Fabel – den Täuschungen der „Füchse unseres realen Lebens“ zu verfallen? Das Stück verleiht diesen zeitlosen Fragen durch seine außergewöhnliche Inszenierung eine moderne und sehr brisante Bedeutung.

Text: Theater und Film (Q12 2024 / 2025)

Klara Lauber, Sophia Knothe, Melanie Kühnel, Juliane Kusterer, Leopold Kirchgässner

Die Theater AG 24/25 und der TuF-Kurs der Q12 – gemeinsam in München. Bild: C. Buxot
Die Theater AG 24/25 und der TuF-Kurs der Q12 – gemeinsam in München. Bild: C. Buxot